Heute hab ich frei, einfach so - mitten unter der Woche. So viel vorgenommen, was alles zu tun und erledigen ist. Aber noch sitze ich bei meinem zweiten Cappuccino am Frühstückstisch, zeitunglesend, entspannt, ein bisschen am Handy surfend. Und stoße auf Harry Styles.
Kennst du Harry Styles? Ich mag ihn, den bunten Vogel. Ich mag seine Musik, er zaubert darin mit Gefühlen von Freiheit, Lebensfreude, Leichtigkeit. Er hat etwas Positives, das nicht nur mit seiner Jugend zu begründen ist, er hat Strahlkraft. Mutig, seine exotischen, schrägen, farbvollen Outfits. Sein Auftritt bei den Grammy-Awards vor 2 Wochen. Ich skippe nicht weiter, bleibe. Cool - seine Performance zu "As it was". Und werde gefangen genommen vom Rhythmus der Musik. Werde angesteckt vom Impuls zu tanzen.
Lasse mich ein, drehe die Musik laut, hab den Raum nur für mich und lasse mich verführen von seiner Musik. Wie gut tut es, den Boden unter den Füßen zu spüren. Sich innerlich frei zu machen, einfach dem Rhythmus zu folgen, das planvolle Müssen vor die Tür zu stellen. Die Musik in jeder Bewegung zu spüren. Anstrengung, Leichtigkeit, Flow. Wie wunderbar. Und dabei wird mir klar, dass Schreiben und Tanzen ganz schön viel gemeinsam haben.
Darüber will ich in diesem Beitrag schreiben.
Dem Zufall eine Chance geben
Manchmal ist es so, dass ein Impuls von außen etwas anreizt. Das nimmst du in Bruchteilen von Sekunden wahr und dieses Etwas stößt an, bingt zum Tönen.
Flüchtige Assoziationen, Erinnerungen, Wünsche, Gedanken.
Schenkst du dieser Wahrnehmung in dem Moment keine Aufmerksamkeit, wird sie in der nächsten Minute wieder vergessen sein. Hast du aber das Glück, diesem Zufall Raum zu geben, dann kann aus diesem Impuls die Idee für ein Thema entstehen. Heute Morgen hatte ich diese Chance. Und ich hatte das Glück, Raum und Zeit dazu zu haben.
Gib deinen Zufällen eine Chance. Lass aus Zu-fällen Fülle entstehen. Lass dich verführen. Schenke dir Zeit.
In weichen Wollsocken übers Parkett
Harry Styles voll aufgedreht, gleiten meine Füße in weichen Wollsocken übers Parkett. Schritte und Drehungen kommen von ganz allein. Die Wolle bildet dabei mit meinen Füßen und dem Boden eine kleine Einheit, verbindet. Sie auszuziehen bedeutet direkten Kontakt zwischen Haut und Holz. Mehr Reibungskraft, mehr Widerstand. Will ich das?
Aufs Schreiben übertragen heißt das: Womit schreibst du gern? Was lässt deine Gedanken in Fluss kommen? Es bedeutet, zu wissen, wann man was braucht. Eine Füllfeder mit weicher Spitze, einen Bleistift oder die eine Tastatur? Tageszeiten, Örtlichkeiten... Nutze die Eigenschaften der Schreibmittel und des Papiers, begib dich in die Umgebung, die du gerade benötigst. Was erleichtert es dir zu schreiben?
Wechsel der Geschwindigkeiten
Irgendwann ist jedes Lied zu Ende, auch "As ist was". Doch was kommt danach? Spotify sei dank gibt's "Harrys House" in voller Länge. Manche Lieder pushen, andere sind ruhiger, Lovesongs wechseln mit solchen, die weniger klingen.
Auch beim Schreiben ist es so: ein Wechsel der Geschwindigkeit ist notwendig. Es braucht Passagen, die richtig "fahren", dann aber auch leisere Töne, langsamere Gedanken, um dann wieder die Spannung zu steigern und zum Höhepunkt zu gelangen. Über Spannungsaufbau und Plotgestaltung gibt es viel nachzulesen - oder besuche einfach meinen nächsten Workshop dazu :)
An Ecken stolpern Hindernisse
Autsch! Es ist unvermeidbar. Irgendwann verhakt sich mein Fuß im Stuhl und ich komme nicht nur aus dem Takt sondern auch aus dem Gleichgewicht. Ich rudere mit den Armen, suche nach Halt. Muss aufpassen, dass ich mir nicht den Kopf an der Ecke des Schranks blutig stoße. Naheliegender Vergleich zum Schreiben - selbsterklärend mit einem passenden Spruch: Hinfallen, aufstehen, Krönchen richten, weitergehen. Aber natürlich ist es wichtig, sich von Hindernissen nicht aushebeln zu lassen. Beim Schreiben ist es vor allem die innere kritische Stimme, die manchmals so viel Macht gewinnt, dass einem schier die Lust am Tun vergeht. Oder ein Kommentar von jemandem, der dich entmutigt. Will heißen: Steh zu dir und deinem Ziel und verfolge es mit deinem Willen und deiner Kraft. Suche dir ausgewählte, konstruktiv-kritische und wertschätzende Feedback-Partner für deine Texte.
Das schönste vor allem: der Flow
Flow, Fluss, fließen, Rausch... Was gibt es Schöneres, als ihn zu erleben. Egal, ob beim Tanzen, Schreiben oder Laufen. In den Flow zu kommen, ist ein Geschenk des Tuns. Im Still-Sitzen habe ich ihn noch nie erlebt. Noch stärker kann sich ein Flow aus dem gemeinsamen Erleben, im Tun mit anderen Menschen entwickeln. Gemeinsam zu tanzen, gemeinsam zu schreiben, gemeinsam zu singen - das birgt unendlich viel Kraft in sich. Wohl aus diesem Grund liebe ich die Schreibgruppen-Arbeit, weil genau dann innerhalb der Gruppe dieser Fluss, dieser Ansporn entstehen kann. Wenn die Stifte übers Papier rasen, mit erhitzten Gesichtern, rauchenden Köpfen und heiß geschriebenen Fingern Text geboren wird. Wenn das morphologische Feld der Gruppe entsteht und plötzlich alle vom Gleichen schreiben, ohne darüber zu wissen. Dann sind das wunderbare, magische Momente.
Schmerz und Schweiß führen zu einem höheren Level
Nassgeschwitzt spüre ich ein Ziehen in der Schulter. Die ersten Phasen der Extase - dieser rauschhaften Verzückung durch Musik und Einlassen auf die Bewegung - sind vorbei und Teile der Realität blitzen durch. Mischen sich mit Gedanken, was ich heute alles sollte und wollte. Aber ich will diesen Traum jetzt nicht beenden. Ich möchte mit jeder Drehung die Kraft der Bewegung weiter genießen. Das hat etwas mit Zulassen zu tun. Mit "sich zu lassen", mit Zulassen von dem, was in einem ist. Ihm die Möglichkeit geben, sich zu zeigen und wahrgenommen zu werden. Der Körper weiß, was er will. Auch die Seele weiß, was sie braucht. Dann gilt es, das Tempo zu ändern oder den Rhythmus anzupassen. Vielleicht sich neu auszurichten. So kann eine Transformation des Schmerzes geschehen und Integration gelingen. Und so spüre ich zu meiner Schulter hin und lasse sie sanfter schwingen - so lange, bis sich der Schmerz gelöst hat. Ein neues Lied beginnt, leiser, aber ich bin stärker geworden.
Auch Schreiben bringt oft schmerzhafte Erinnerungen zum Vorschein. Altes, Festgesetztes, lang vergessen Geglaubtes, Verdrängtes - plötzlich steht es da am Papier und rührt dich an. Für mich ist hier eine so große Kraft geborgen. Wenn in meinen Schreibgruppen eine Teilnehmerin über den Tod eines lieben Menschen schreibt, oder eine andere darüber, wie etwas in ihrem Leben zu Bruch gegangen ist, dann sind das unendlich wertvolle Anknüpfungspunkte an das eigene Sein. Durch Vorlesen, Zuhören, "Mit(einander)-Teilen" von solchen Momenten kann Integration und Transformation gelingen.
Das Leben, es geht weiter, vielleicht in einer winzig anderen Tonart, in verändertem Rhythmus, mit anderen Bässen oder einem neuen Lied. Aber es geht weiter - auf einem anderen Level. Man ist vielleicht ein Stück sanfter geworden, verzeihlicher, aber sicher auch stärker.
Erlaubnis - was für ein Wort
Eine ganze Stunde, nein, länger tanze ich. Harry Styles rauf und runter. Es könnte ewig sein. Doch irgendwann stellt sich das Gefühl von "genug, es passt, ich bin
müde" ein. Ich weiß, jetzt ist es gut so. Jetzt ist mein Kopf leer und meine Idee fertig: ich schreibe heute einen Blogartikel darüber, was Schreiben und Tanzen miteinander zu tun haben. Darauf
freue ich mich. Und ich genieße die Kraft dieser inneren Erlaubnis - heute meinen Tag anders zu gestalten als geplant.
Nach einer genussvollen Dusche, dem Geruch der Seife aus Aleppo auf der Haut, der Seife, die wahrscheinlich nach dem vergangenen Erdbeben nun wohl nicht mehr hergestellt wird, weil die Menschen in Syrien und der Türkei andere Sorgen haben (aber das ist eine andere Geschichte), an meinen Laptop und beginne zu schreiben.
Und weil du vielleicht Lust bekommen hast, die Performance von Harry Styles bei den BRIT-Awards (As it was) zu hören oder sehen, ist hier der Link zu You-Toube.
Lass gern von dir hören, wie es dir beim Schreiben so geht, was dich zum Tanzen bringt, dich fliegen lässt.