In Form eines Kalendereintrags stieß ich erstmals auf die Kunst von "Kintsugi" - der Methode, Bruchstellen zu vergolden. Eine Mutter beschrieb darin den Brauch, mit ihren Kindern zum Jahreswechsel jeder eine Schale aus Keramik zu zerbrechen. Die Scherben werden an Neujahr zusammengesetzt - und dabei die Bruchstellen nicht bloß geklebt, sondern mit Goldstaub und Lack in der Tradition des "Kintsugi" veredelt. Übertragen auf das Leben bedeutet das, ein Jahr mit seinen Brüchen zu überstehen und geheilt/gestärkt das neue zu beginnen. (Aus dem Kalender "Was mein Leben reicher macht, 2022", Die ZEIT)
Diese Idee berührte mich und ich begab mich auf Spurensuche...
Man sagt, dass die Lehre des Kintsugi einer alten japanischen Tradition entstamme, die sich aus dem Unglück einer zebrochenen Teeschale des japanischen Shoguns Yoshimasa (1436 - 1490) zum Kunsthandwerk entwickelt hatte. Als die geliebte Teeschale des Shoguns zerbrochen war, ließ er sie zur Reparatur nach China schicken. Von dort erhielt er sie jedoch lieblos mit Metallklammern repariert zurück. Er war so enttäuscht, dass er daraufhin die besten japanischen Künstler beauftragte, sie schöner zu reparieren. Ein Meister fand schließlich die Lösung, die Bruchstellen mit dem speziellen Harz des Urushi-Baumes zu kleben und den Bruchstellen reines Goldpuder hinzuzufügen. Die Risse wurden nicht verborgen, im Gegenteil: sie wurden veredelt und erhielten neuen Glanz - das war die Geburtsstunde des Kintsugi. Übersetzt bedeutet "kin" golden und "tsugi" verbinden oder reparieren, woraus sich die Bedeutung der goldenen Verbindung oder goldenen Reparatur ableitet.
Im Lauf der Zeit entwickelte sich daraus eine japanische Lebensphilosophie. Die Bedeutung von Brüchen, Rissen oder Narben wurde vielschichtiger und auf das menschliche Sein übertragen:
Eine wunderbare Magie dieser Lehre:
Denn wer trägt keine Risse und Narben aus kleineren und größeren Lebenswunden in sich? Wer kennt nicht die Herausforderung, mit Brüchen umzugehen, diese zu bewältigen. Oft schämt man sich seiner Schwächen und seiner Bruchstellen. Und genau hier liegt in der Philosophie von Kintsugi die Chance, eine Haltung zu entwickeln, die diese Brüche als "kostbar" bewertet. Diese Bruchstellen aufzugreifen, sich damit auseinanderzussetzen, sich ihrer nicht zu schämen, sie nicht verstecken zu wollen, sondern ein Bewusstssein zu entwickeln, wie sie einen zu dem gemacht haben, was man heute ist. Sie als positive Kraftquelle in einem neuen Licht zu sehen, die einen einzigartig macht. Die Narbe als Stärke, als schön-machend zu erkennen und sie auch zu zeigen - gerade diese Haltung ist so heilsam.
Man klebt die Bruchstelle sorgsam, veredelt sie mit Gold und Lack, und verleiht ihr somit mehr Glanz. Die Gestalt wird schöner und stärker, sie wird einzigartig und trägt ihre einzigartige Geschichte in sich - eine Geschichte, die von Brüchen und Heilung erzählt.
Letztlich zeigt Kintsugi - auf das eigene Leben übertragen - eine Möglichkeit auf,
mit sich ins Reine zu kommen.
Ich bekam vor einigen Jahren von einer Freundin ein Zitat geschenkt:
"Ich will lieber ganz sein als gut", von C.G.Jung, hatte sie auf eine
kleine Holzplatte in goldverzierten Lettern geschrieben.
Ein"Ganz-Sein" mit allen Verletzungen, Narben und Rissen ist wohl auch "gut".
Mit der Philosophie des Kintsugi eng verbunden ist die japanische Tradition des WABI-SABI, das die "Schönheit der unvollkommenen Dinge" einfängt. Dabei geht es um die Botschaft, dass nichts - für immer - perfekt ist. Der Augenblick ist flüchtig. Alles befindet sich in einem fortwährenden Wandel. Wabi-Sabi betont die Schönheit der unvollkommenen Dinge: der Vollmond, der zum Teil von einer Wolke verhüllt ist. Oder die Kiefer, die erst durch ihren knorrigen Stamm "schön" ist, der abgenutzte Silberlöffel, den tausend Hände berührt haben oder die Falten im Gesicht eines Menschen, die von seinem Leben erzälen. Gerade in unserer perfekten Welt sehe ich das als eine wohltuende Haltung, die dem Natürlichen die Chance gibt, so zu sein, wie es ist. Eine gegenteilige Haltung zum perfekten Bild auf instagram und Co.
Mit Kintsugi verbinden sich noch andere fernöstliche Philosophien - wie die des IKIGAI, das Fragen zum "guten Leben" stellt. Ikigai geht dem auf den Grund, wofür es sich zu leben lohnt, was einen Menschen einzigartig macht. Oder die Tradition der Achtsamkeit, zur (inneren) Ruhe kommen, den Moment als Geschenk zu empfinden, den Weg der kleinen Schritte zu gehen, um Veränderungen herbeizuführen - all das sind Haltungen, die an die Lebensphilosophie von Kintsugi andocken.
Kintsugi und Kreatives Schreiben -
Eine Anleitung
Das Kreative Schreiben bietet wunderbare Möglichkeiten, sich der Philosophie von Kintsugi und der des Ikigai oder auch des Wabi-Sabi zu nähern.
Als Form einsetzbar wäre zum Beispiel das reflexive Schreiben mit einem Freewriting: sich durch freies, assoziatives Schreiben auf die Spur zu kommen, um zu erkennen, wo eigene Lebensverletzungen liegen.
Anleitung: Gehe Schritt für Schritt vor!
Beginne mit einem Freewriting, max. 10 Minuten lang. Starte mit dem Satz: "Was mich in meinem Leben gekränkt (oder verletzt) hat ..." Lass deinen Gedanken und Impulsen möglichst freien Lauf. Lass sie durcheinanderpurzeln, lass sie so kommen, wie sie kommen, zensiere dein Schreiben nicht im Kopf, schreibe, ohne abzusetzen, schreibe! Aber nicht länger als 10 Minuten (stell dir einen Wecker). Dann mache eine Pause.
Lies das Geschriebene in Ruhe durch. Such dir nun 5 Stellen in deinem Text, die dich anrühren oder wo sich ein Widerstand regt und markiere diese. Nun kannst du eine Passage wählen, und vertiefe dieses Thema in einem weiteren Text. Dieses Schreiben kannst du in Form eines Freewritings machen oder aber dich bewusst und langsam mit dem Thema schreibend auseinandersetzen. Umkreise, vertiefe.
Wenn du magst, suche dir anschließend jemanden, dem du deinen Text vorlesen kannst. Frag ihn/sie: "Was regt er bei dir an, welche Emotionen/Empfindungen löst er bei dir aus?" Vielleicht kommst du in ein tieferes Gespräch.
Mit ein wenig Abstand, vielleicht am nächsten Tag oder eine Woche später, versuche, dich mit der Frage auseinanderzusetzen: "Was hab ich daraus gelernt, was hat mich daraus stärker werden lassen?" Mach dir ruhig eine Liste, vielleicht in Form eines ABCDariums: Finde zu allen Buchstaben des ABCs (untereinander geschrieben) ein Wort, das dieses Stärker-geworden-sein oder das Gelernte daraus bezeichnet oder damit zu tun hat.
Wähle aus dieser Liste ein Wort und schreib nun wieder einen Text dazu.
Wenn du möchtest, lies diesen Text wieder jemanden vor und schau, was er/sie dir dazu rückmelden kann.
Stärkung erfährst du dann, wenn du erkennen kannst, was deine Kränkung und Verletzung war/ist und was dich daran wachsen hat lassen.
Schließe mit einer lyrischen Übung ab: Schreib ein Gedicht der Wiederholungssätze: Beginne beispielsweise mit: "Stark geworden ..." Schreibe 5 - 7 Zeilen, die immer mit dem gleichen Anfang beginnen.
Lyrische Formen, hier sei das Haiku im Besonderen genannt, das seine Begründung in Japan erfahren hat (vor allem durch den japanischen Dichter Basho), können auf einfache und verdichtende Weise Empfindungen zum Ausdruck bringen. Momente können im Haiku eingefangen, die Schönheit der Flüchtigkeit betont, die Vergänglichkeit des Augenblicks beschrieben werden. Haiku: 1. Zeile: 5 Silben | 2. Zeile: 7 Silben | 3. Zeile: 5 Silben.
Schreibe dein Gedicht in besonderer Weise auf - vielleicht auf ein schönes Bütten-Papier, mit goldverzierten Lettern oder auf eine andere kreative Art. So, als wäre diese Bruchstelle nun mit Gold verziert. so, damit deine Einzigartigkeit ein wenig mehr ins Licht gelangen und straheln kann.
Ich wünsche dir viel Spaß beim Schreiben - und wenn du magst, schick mir gern eine Rückmeldung dazu.
Achtung: Führe die Übungen mit einer wohlwollenden und selbstverantwortungsvollen inneren Haltung aus - sei dir bewusst, dass diese Art der Auseinandersetzung auch tiefergehende Verletzungen oder Traumata anschneiden kann. Gegebenenfalls solltest du dann therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen.
In der gemeinsamen Gruppenarbeit liegt hier eine große Chance, die mir besondere Freude bereitet. So in die Tiefe der verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten zu gelangen, sich dabei führen und überraschen lassen, sich berühren lassen von den eigenen Texten und derer der anderen, Erkenntnisse daraus ziehen, Zeit und Ruhe finden, Kraft schöpfen.
In meinen Kursen verbinde ich das eigene Gestalten von Kintsugi-Keramik mit Methoden des kreativen Schreibens, der Selbstreflexion und meditativen Einheiten.
Es ist ein Abenteuer, auf das es sich einzulassen lohnt.
Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/137182-matsuo-basho-das-dunkle-meer-und-ein-wildentenruf-im-vers/
Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/137182-matsuo-basho-das-dunkle-meer-und-ein-wildentenruf-im-vers/
"Das dunkle Meer
und ein Wildentenruf
im verschommenen Weiß"
Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/137182-matsuo-basho-das-dunkle-meer-und-ein-wildentenruf-im-vers/
Ein Haiku von Basho, dem Meister dieser Dichtkunst.