Wie grün ist das Grün des Eichenblattes?
Ein Beitrag über die Verwendung subjektiver und objektiver Adjektive unter Zuhilfenahme einiger Sätze aus A. Geigers Buch "Unter der Drachenwand".
Zuletzt tauchte in meiner Schreibberatung die Frage auf, wie man Adjektive beim Schreiben eines Textes einsetzen bzw. warum man sie vermeiden sollte. Die Lehre des Schreibens formuliert ja, möglichst auf sie zu verzichten.
Ich nehme in diesem Blog-Beitrag als Beispiel Arno Geigers "Unter der Drachenwand", um dieser Frage näher nachzugehen.
Zuvor möchte ich eine Einführung zur Verwendung bzw. Vermeidung von Adjektiven geben:
Worum es bei der Vermeidung von Adjektiven geht, ist meist einfacher gesagt als getan: Vermeide überflüssige Adjektive! Vor allem aber solche, die eher das subjektive Empfinden des Schreibers ausdrücken, als beim Leser Bilder im Kopf zu erzeugen. Subjektive Adjektive wären z.B. "grausam, romantisch, wunderschön, lieblich, ekelhaft, betörend, usw."
Dem gegenüber stehen objektive Adjektive. Diese sind zulässig und sinnvoll und du kannst sie im Text verwenden.
Objektive Adjektive sind z.B. "alt, jung, groß, klein, hell, verschnörkelt, aufgerissen, zerschlissen, etc."
Heißt: Wenn ich Emotionen in meinen Text bringen will, sollte ich nicht versuchen, diese mit Eigenschaftswörtern zu erreichen, sondern mit aktiven Schilderungen. Es ist stärker, Gefühle dadurch auszudrücken, indem ich dem Leser Bilder zeige: "Show, don't tell", eben das Kino im Kopf anrege. Demnach schreib nicht: "Sie blickt ihm verliebt in die Augen", sondern formuliere die Schilderung vielleicht so: "Sie blickte ihm in die Augen. In diesem Moment verlor sie sich in der Tiefe hinter seiner Iris, berührte seine Seele. Ihre Halsschlagader fühlte sich an wie ein Presslufthammer, nahm ihr die Luft zu atmen..."
Objektive Eigenschaften können natürlich mit Hilfe von Adjektiven beschrieben werden: etwas ist nun mal alt, groß oder klein, dick oder dünn. Die Hose ist nun mal zerschlissen oder frisch gebügelt, der Kopf hochrot oder der Himmel tiefgrau. Und das Eichenblatt ist nun mal grün. Aber wie grün ist dieses Grün, welche Assoziationen weckt es? Ist es erbsengrün, grasgrün, ganz unschuldig, wirkt es wie frisch gestrichen, erinnert es an das lichte Grün der Blätter im Mai oder ist es dunkelgrün, wissend, die Kraft eines ganzen Sommers in Sauerstoff umgewandelt zu haben?
Nun zäume ich das Pferd von hinten auf: Dazu nehme ich die erste Seite aus Arno Geigers "Unter der Drachenwand". Schon die ersten Sätze zeigen das Können dieses Schriftstellers, zeigen, wie er mit den Worten spielt, zeigen, wie gekonnt er sie einsetzt. Er zeigt mir, nimmt mich mit seinen Bildern mit an den Ort des Geschehens.
Ich nehme also diese Sätze und kehre sie um mit der Fragestellung: Wie könnte man es auch ganz einfach, möglichst platt und fad und unter Verwendung von subjektiven Adjektiven ausdrücken?
"So hatte mich der Krieg auch diesmal nur zur Seite geschleudert." (A. Geiger, S. 7)
Mit der Formulierung, dass der Krieg einen zur Seite schleudert, erzeugt Geiger ein starkes Bild im Kopf. Etwas schleudert mich, nimmt keine Rücksicht, ich bin Opfer, habe Glück, wenn ich nicht zu sehr Schaden nehme.
Wie könnte nun eine andere, schlechte Formulierung dazu aussehen? Vielleicht so: "Ich hatte in dem grausamen Krieg unbeschreibliches Glück."
"Im ersten Moment war mir gewesen, als würde ich von dem Krachen verschluckt und von der ohnehin alles verschluckenden Steppe und den ohnehin alles verschluckenden Flüssen, an diesem groben
Knie des Dnjepr."
(A. Geiger, S. 7)
Auch hier verwendet Geiger ein starkes Verb: "Verschlucken". Verschluckt zu werden, verdeutlicht wiederum, Opfer von etwas geworden zu sein. Der Autor transportiert damit etwas Endgültiges, Vernichtendes und steigert die Wirkung dann noch durch die adjektivliche Verwendung dieses Wortes und seiner Wiederholung (die verschluckende Steppe, ohnehin alles verschluckende Flüsse).
Wie könnte dieser Satz nun schwach formuliert werden? Vielleicht so: "Ich fühlte mich ohnmächtig in der weiten Steppe. Das laute Krachen der Granaten war furchterregend."
"Unter meinem rechten Schlüsselbein lief das Blut in leuchtenden Bächen heraus, ich schaute hin, das Herz ist eine leistungsfähige Pumpe, und es wälzte mein Blut jetzt nicht mehr in meinem Körper im Kreis, sondern pumpte es aus mir heraus, bum, bum." (A. Geiger, S. 7)
Geiger lässt das Blut direkt herausfließen, das Leuchten des Blutes verdeutlicht, dass es frisches Blut ist, pure Lebensenergie und er beschreibt mit dem Bild der Pumpe und des Kreislaufs, was wir alle wissen, was aber den Moment, die Eindrücklichkeit des Ereignisses noch weiter steigert. Er hat hier zwei "objektive" Adjektive benutzt (leuchtende Bäche, leistungsfähige Pumpe), um die Wirkung des Textes zu erhöhen.
Wie wäre die einfache Version? "Als ich den blutverschmierten Ärmel meines Hemdes sah, bekam ich schreckliche Angst."
Vielleicht hast du Lust bekommen, Bücher zur Hand zu nehmen und zu schauen, wie gute Autoren das so machen. Ich hoffe, dass ich ein wenig verdeutlichen konnte, worum es bei der Verwendung von Adjektiven gehen kann, vor allem aber: hab Spaß daran, nach Wörtern zu schürfen, die genau das ausdrücken, was du sagen möchtest. Sieh die Wörter wie Schätze, nach denen man manchmal suchen muss. Und scheue dich nicht davor, diese Wörter auch auf ihre Bedeutung hin zu hinterfragen (was wird "verschluckt", welche Emotion löst es bei mir aus, "verschluckt" zu werden...?)
Und PS: falls es noch nicht deutlich wurde: ich bin ein großer Fan von Arno Geigers "Unter der Drachenwand". Es ist für mich eines der schönsten Bücher der letzten Jahre (upps... schönstes Buch... nein, ein Buch, das mich eine Freundin Veits, des Protagonisten, werden ließ, das mich nicht als Leserin, sondern als direkt Beteiligte mit-er-leben ließ. Danke Herr Geiger, für dieses Buch-Geschenk.